Hamburg International Queer Film Festival
Im Wintersemester 1988/89 organisierten Student:innen der Universität Hamburg ein Seminar zum damals kaum erforschten Thema ‚Homosexualität im Film‘. In einer Kooperation mit dem kommunalen Kino Metropolis fanden im Sommer 1990 die ersten Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg (LSF Hamburg) als eine Veranstaltung der Kinemathek Hamburg statt. Weil die seitdem jährlich organisierten LSF Hamburg stetig an Aufmerksamkeit gewannen, wurde 1995 der gemeinnützige Verein Querbild e.V. gegründet. Der Verein ist seitdem Veranstalter und Träger der Filmtage und stellt den rechtlichen Rahmen. Über ihn erlangten die Filmtage neue finanzielle Möglichkeiten: Die Unterstützung der Stadt Hamburg über die Kulturbehörde, das Engagement von Konsulaten und Kulturinstituten und Beiträge von Sponsor:innen im Rahmen von Kooperationen.
2019 feierten die Filmtage ihr 30. Jubiläum. Bis 2019 wurden im Rahmen des Festivals rund 130 Filme in etwa 60 Programmen in bis zu acht Spielstätten gezeigt, darunter vier regulären Programmkinos. Zudem veranstaltet das Festival ein bis zwei Workshops, ein Familienprogramm sowie Schulprogramme, und es werden jährlich ein Jurypreis und sechs Publikumspreise vergeben. Seit 2020 hat das Festivalprogramm pandemiebedingt in hybrider Form mit reduziertem Programm stattgefunden, Preise wurden nicht vergeben.
Anspruch der Filmtage ist es, dem Publikum vielfältige und aktuelle internationale Filmproduktionen aus dem Spektrum des queeren Kinos zu zeigen. Die programmierten Filme beschäftigen sich mit relevanten Themen, erzählen spannende Geschichten und setzen sich mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten auseinander. Sie gehen interessante Korrespondenzen mit Klassikern und Raritäten der queeren Filmgeschichte ein, fester Programmpunkt ist u. a. eine Stummfilm Matinee. Außerdem bietet das Festival ein Forum für eine gesellschaftlich engagierte, diskussionswürdige und anspruchsvolle Filmkultur.
Etwa 15.000 Besucher:innen zählt das Festival in den Jahren vor der Pandemie. International sind die Filmtage gut vernetzt, weshalb jedes Jahr internationales Fachpublikum und natürlich die geladenen Filmgäste nach Hamburg anreisen. Diese Mischung macht das Hamburg International Queer Film Festival alljährlich zu einem Event, das sowohl für die queer community als auch für alle Film und Kulturinteressierten von großem Interesse ist.
(Hanne Homrighausen, Joachim Post, Jan Künemund)
Die kommende Ausgabe des Festivals findet
vom 18. bis zum 23. Oktober 2022 statt
Exzerpt aus Buch / Leseprobe
Auszug aus dem Gespräch „Tanzen und weiterdiskutieren!“ von Jan Künemund (JK) mit Hanne Homrighausen (HH) und Joachim Post (JP) (Hamburg International Queer Film Festival)
(JK) Bei Menschen, die keine eigenen Erfahrung mit queeren Filmfestivals haben, gibt es meiner Beobachtung nach zwei klassische Vorurteile: erstens, dass das Special-Interest-Veranstaltungen sind, bei denen es nur um Themen und Inhalte geht (und nicht um Ästhetik), weshalb darin eigentlich auch immer ein Urteil über die Qualität liegt, denn wären die Filme wirklich gut, könnten sie ja im Berlinale-Wettbewerb oder anderen A-Festivals laufen; und zweitens, dass da eigentlich Nischen entstanden sind, die man aus liberaler Sicht zwar schwer ok findet, die man aber eigentlich für obsolet hält, denn es hat ja eigentlich niemand was dagegen, Lesben und Schwule und trans*Menschen auf der Leinwand zu sehen, und deshalb bräuchte es doch diese Räume für Filme gar nicht mehr. Was antwortet ihr darauf?
(JP) Das ist leider Blödsinn, denn die Realität sieht noch immer anders aus. Außerhalb queerer Filmfestivals und Sonderveranstaltungen finden queere Themen und Charaktere leider noch immer viel zu selten den Weg in die Kinos, auf DVDs, ins Fernsehen oder in die Streamingkanäle. Das liegt aber nicht an der Qualität, sondern hat ganz viele Gründe. Einer davon ist sicher das Überangebot an Filmen generell.
(HH) Da bin ich etwas anderer Meinung. Queere Filme werden auf anderen Festivals nicht genügend ins Programm genommen, weil die Personen, die darüber entscheiden, diese nicht als wichtig genug ansehen, weil sie nicht ihrer Art von Ästhetik entsprechen, weil die Erzählweise nicht hetero- oder cis-normativ ist. Ich bin eine Verfechterin von Quoten, aber denke, dass dies auch nicht ausreichen würde, um queere Filmfestivals obsolet zu machen. Bei queeren Filmfestivals können Filme gezeigt werden, die queere Themen aus einem anderen Blickwinkel zeigen, nicht aufbereitet für ein Mainstreampublikum, sondern schon ein bestimmtes Wissen voraussetzend. Dieses Wissen kann sowohl intellektuell, als auch emotional sein. Das Wissen, dass die Personen um dich herum ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dass sie deine (queere) Existenz nicht in Frage stellen. Auch die Emotionalität ist ein wichtiger Bestandteil queerer Festivals: dieses diffuse Gefühl von Community, das im besten Fall entsteht. Sicher ist dieses Communitygefühl sehr fragil, denn auch queere Orte sind leider nicht per se ein safe(r) space für LGBTIQ+, auch hier finden Ausschlüsse und Diskriminierungen statt.
Macher:innen
(c) Aileen Pinkert
Hanne Homrighausen
ist Co-Organisatorin und Co-Programmerin des Hamburg International Queer Film Festivals, Deutschlands größtem und überwiegend ehrenamtlich organisiertem LGBTIQ*-Filmfestival. Sie ist Vorstandsmitglied von QueerScope, dem Verband unabhängiger queerer Filmfestivals in Deutschland. Außerdem engagiert sie sich für die Rechte und Sicherheit von Geflüchteten und Migrant*innen. (Hamburg International Queer Film Festival)
(c) Andrea Preysing
Joachim Post
studierte Sozialökonomie an der Universität Hamburg. Seit 1997 ist er im Organisationsteam des Hamburg International Queer Film Festival (vorher Lesbisch Schwule Filmtage Hamburg) und heute außerdem im Vorstand des Vereins Querbild e. V., der das Festival veranstaltet. Zudem ist er im öffentlichen Dienst tätig und arbeitet als freier Journalist und berichtet einmal monatlich in der Sendung Filmriss auf Tide.radio über aktuelle Kinofilme. (Hamburg International Queer Film Festival)