Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern

Das Filmfest Schwerin wird 1990 von ostdeutschen Filmschaffenden als eine der ersten Festivalneugründungen in den sog. Neuen Bundesländern ins Leben gerufen. Vor dem Hintergrund des Systemwechsels und der sozioökonomischen Verwerfungen im Verlauf der Wende wollen die teils von der DEFA ausgebildeten Gründer:innen ein Zeichen für die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur setzen.

Die erste Ausgabe findet im April 1991 statt. Gezeigt werden Lang sowie Kurzfilme aus Österreich, der Schweiz und Deutschland. Die Gründer verstanden Film als „Ensemble der Künste“ und räumten auch der Performance, Musik, Literatur und Fotografie Platz auf dem Festival ein. Im Jahr 2007 in Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern umbenannt, konzentriert sich das breit aufgestellte Publikumsfestival seither in vier dotierten Wettbewerben auf den deutschsprachigen langen Spiel, Dokumentar, Kinder und Jugendfilm sowie auf den Kurzfilm. Der Hauptpreis im Spielfilmwettbewerb, der mit 10.000 Euro dotierte Fliegende Ochse für die beste Regie, wird vom Land gestiftet. Die Preise werden von Fachjurys (darunter eine FIPRESCI-Jury) und vom Publikum vergeben. In Nebenreihen widmet sich das Festival dem DEFA-Filmerbe, seit 2015 dem aktuellen Kino des Ostseeraums im Focus Baltic Sea. Es präsentiert die zeitgenössische Kinematografie eines Gastlandes und neue Filmproduktionen aus Mecklenburg Vorpommern. Zudem zeichnet es einen Ehrengast für „Verdienste um die Filmkultur“ mit dem Hauptpreis des Festivals, dem undotierten Goldenen Ochsen, aus. Es zeigt in sechs Tagen auf acht Leinwänden etwa 60 lange und 70 kurze Filme und zählt unter regulären Bedingungen rund 18.000 Besucher.

Das Festival verfügt über ein Budget von ca. 500.000 Euro, dessen Löwenanteil vom Land bzw. der landeseigenen MV Filmförderung zur Verfügung gestellt wird. Weitere Geldgeber sind die Landeshauptstadt Schwerin, die regionale Sparkasse sowie der NDR. Trägerin des Festivals ist die gemeinnützige Filmland MV GmbH. Ihre weiteren Aufgaben liegen in der jährlichen Organisation der landesweiten Schulkinowochen mit rund 21.000 Schülern, der Organisation des Kinokulturpreises in MV, mit dem seit 2019 gewerbliche und nichtgewerbliche Spielstätten für ein hochwertiges Jahresprogramm aus gezeichnet werden, sowie in der Wahrnehmung der ihr ab 2021 vom Land übertragenen Aufgabe der ‚Strategischen Kinoplanung‘. Gesellschafter sind die Capitol Kino Schwerin GmbH, die Stadtmarketing Gesellschaft Schwerin mbH, die Sparkasse Mecklenburg-Schwerin und ein privater Gesellschafter. Die gGmbH verfügt über fünf festangestellte Mitarbeiter.

(Volker Kufahl)

Die kommende Ausgabe des Festivals findet
vom 2. bis 7. Mai 2023 statt.

filmland-mv.de >>

Exzerpt aus Buch / Leseprobe

Auszug aus dem Beitrag „JAHR 2022… DIE ÜBERLEBEN WOLLEN“ von Volker Kufahl (Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern)

Das Internet verbindet Computer, nicht Menschen

[…] Warum habe ich mich trotz des gelungenen Experiments mit #filmkunstzuhause gegen eine Wiederholung des Online-Festivals und auch gegen eine hybride Variante als Festivalergänzung entschieden?
Wenn der Begriff des Filmfestivals die örtlich definierte und zeitlich begrenzte Präsentation einer Filmauswahl vor Publikum bezeichnet, ist der konkrete Raum des Kinos für Filmfestivals essentiell und konstitutiv. Ohne die räumliche und zeitliche Verortung und den Bezug auf ein physisches Publikum macht die Rede vom Festival meines Erachtens keinen Sinn.
Es stimmt: Der Film hat sich vom Kino längst emanzipiert. Filme, Serien, bewegte Bilder sind online ubiquitär verfügbar. Ich kann sehen, was ich will, wann ich will und wo ich will, sofern ich über einen Internet-Zugang verfüge. Das Streamen von audiovisuellen Inhalten ist zum Leitmedium des 21. Jahrhunderts geworden. Und genau deshalb möchte ich auf dem konkreten Ort des Kinos bestehen: Weil es mir um die spezifische, qualitativ andere Seherfahrung im Unterschied zu anderen Medien geht. In der zeit- und ortsungebundenen Omnipräsenz audiovisueller Inhalte wird das konzentrierte Filmerlebnis im dunklen Kinosaal geradezu zum Alleinstellungsmerkmal, ich würde sagen: zum Qualitätsmerkmal eines Filmfestivals. Die Erweiterung des Festivals in den virtuellen Raum erscheint mir dagegen affirmativ. Nach meinem Dafürhalten entwertet sie Film und Filmerfahrung.

In meiner 30-jährigen Beschäftigung mit dem Kino – als ehrenamtlicher Kinomacher in der kommunalen Filmarbeit, als Festivalleiter und als gewerblicher Programmkinobetreiber – habe ich den öffentlichen Ort und die Praxis des Kinos, das Filmerlebnis zu vergemeinschaften, als human, demokratisch, aufklärerisch und oft auch politisch widerständig empfunden. Dies schließt besonders in der kommunalen Film- und in der Festivalarbeit den besonderen Prozess der Filmauswahl, die Platzierung von Filmen im Programm, die Kontextualisierung und Rahmung durch Programmstruktur, Einführung, Filmgespräch und Austausch mit dem Publikum ein. Das Kino hat dadurch nach wie vor das Potential, ein subversiver und utopischer Ort zu sein. Wenn es eine Erkenntnis aus der Pandemie gibt, ist es doch diese: Die gemeinsame Erfahrung von Kunst und Kultur können digitale Plattformen nicht kompensieren. Im Zeitalter des ‚flexiblen Kapitalismus‘ (Richard Sennett), in der ‚Gesellschaft der Singularitäten‘ (Andreas Reckwitz) scheint die Stärkung der öffentlichen und sozialen Kulturräume in dem Maße wichtiger zu werden, in dem sich die Grenzen und problematischen Auswirkungen der digitalen Vernetzung deutlich abzeichnen.

Das Kino ist nicht tot, es wird wie so viele andere Krisen auch die Pandemie überstehen. Die Herausforderung allerdings ist groß, denn es gilt, ein verunsichertes, entwöhntes und zum Teil zu den großen Plattformen abgewandertes Publikum zurückzugewinnen. Gerade den Filmfestivals als geförderten Kulturveranstaltungen kommt hier eine besondere Verantwortung zu, sich zu ihren Spielstätten als den originären Orten der Filmerfahrung über Lippenbekenntnisse hinaus solidarisch zu verhalten. Das Streamen von Spiel- und Dokumentarfilmen, deren Kinoauswertung zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen ist, gehört meines Erachtens nicht dazu, sondern es schadet dem Kulturort Kino wirtschaftlich als auch als kulturelle Praxis.

Darüber hinaus ist die Sicherung der Kinolandschaft eine kultur- und wirtschaftspolitische Aufgabe. Dazu gehört ein exklusives, im Einvernehmen mit Produzenten und Verleihern definiertes Fenster für die Auswertung der nicht zuletzt mit Kinoabgaben geförderten Filmproduktionen. Dazu gehört außerdem die überfällige stärkere Regulierung des demokratiegefährdenden Plattform-Oligopols auf europäischer Ebene. Es bedarf der Förderung ehrenamtlicher und kommunaler Filmarbeit in städtischen, vor allem aber in ländlichen Räumen ebenso, wie der Unterstützung bei der Modernisierung und Professionalisierung gewerblicher Spielstätten. Und es bedarf darüber hinaus einer besseren Vermittlung von Filmbildung und Medienkompetenz an den Schulen, in den oft prekär ausgestatteten Medienwerkstätten und in den Kinos selbst.

Macher:innen

(c) FilmLand M-V / André Lehmann

Volker Kufahl

verfügt weder über einen Facebook- noch Insta-Account, könnte aber falls nötig noch 35mm-Kopien vorführen. Neben dem Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft absolviert er bis 1998 die ‚Schule des Sehens‘ beim Kommunalen Zebra-Kino in Konstanz, bevor er von 2001 bis 2013 das Internationale Filmfest Braunschweig leitete und sich filmpolitisch im Film- und Medienbüro Niedersachsen engagierte. In Braunschweig betreibt er seit 2009 mit anderen das Programmkino Universum“ Seit 2013 führt er die Geschäfte der Filmland MV gGmbH in Schwerin und leitet das Filmkunstfest MV.