DOK.Leizig / Cinémathèque Leipzig
DOK Leipzig ist ein internationales Festival für Dokumentar- und Animationsfilm und in dieser Verbindung der Gattungen einzigartig. Es präsentiert jedes Jahr stadtübergreifend rund 180 künstlerisch hochwertige Filme und XR-Arbeiten, die Einblicke in vielfältige Lebenswelten geben oder aktuelle politische Diskussionen aufgreifen. DOK Leipzig macht es sich zur Aufgabe, diese Werke einem möglichst breiten Publikum zu vermitteln und so zu einem Austausch über Kunst und Wirklichkeit beizutragen, der zu Perspektivwechseln inspiriert und Konfliktlösungen anregt.
DOK Leipzig ist zugleich Publikumsfestival und Deutschlands wichtigster Treffpunkt der internationalen Dokumentarfilmbranche. 1955 wurde das Festival auf Initiative des Ostberliner Clubs der Filmschaffenden als Ort der Begegnung für Filmschaffende aus Ost- und Westdeutschland gegründet und 1960 neu konzipiert als internationales Festival für politisch engagierte Dokumentar- und Kurzfilme. Fortan trafen sich in Leipzig die Größen der Dokumentarfilmszene. Gleichzeitig war die Festivalgeschichte vor der Wende von ideologischen Kontroversen durchzogen. Nach 1989 entwickelte sich DOK Leipzig schließlich zu einem international renommierten Festival, in dessen Zentrum die Werte Frieden, Menschenwürde, Teilhabe und Vielfalt stehen.
Der Cinémathèque Leipzig e. V. (gegründet 1991 als AG Kommunales Kino e. V.) versteht sich als Ort kultureller und gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit und über Film — kunstformübergreifend. Als kollektiv und vernetzend arbeitende Plattform streben wir partizipative, emanzipatorische Kooperationen und kritische Sichtweisen an. Die Cinémathèque Leipzig zeigt ausgewählte internationale Filme in (neuen) thematisch-künstlerischen Kontexten und entwickelt in Zusammenarbeit mit Partner:innen Filmreihen, Festivals, Projekte und Diskussionsveranstaltungen. Wir arbeiten hierarchiefrei und treffen Entscheidungen durch basisdemokratische Abstimmung im Team.
Die Cinémathèque Leipzig wird gefördert vom Land Sachsen und der Stadt Leipzig und regelmäßig für das Jahresprogramm ausgezeichnet (MDM, Stiftung Deutsche Kinemathek). Seit Ende 2012 kämpfen wir für die Umsetzung unserer Vision eines Filmkunsthauses in Leipzig und entwickelten seither drei konkrete Investprojekte. Heute können wir als Teil eines großen Kulturinvestitionsprojektes für Leipzig mit einem Gesamtbudget von 23,1 Millionen € — finanziert von Bund, Land und Kommune — mit Investfördermitteln in Höhe von 10,1 Millionen € für unser Projekt und starkem Support der öffentlichen Hand planen.
(Christoph Terhechte – DOK Leipzig / Angela Seidel, Katharina Franck – Cinémathèque Leipzig)
Die aktuelle Ausgabe des DOK Leipzig findet
vom 17. bis zum 23 Oktober 2023 statt.
dok-leipzig.de >> cinematheque-leipzig.de >>
Exzerpt aus Buch / Leseprobe
Auszug aus dem Gespräch „Ein Filmkunsthaus für Leipzig und das Verhältnis von Kinos und Festivals“ von Tanja Krainhöfer (TK) und Joachim Kurz (JK) mit Angela Seidel (AS) und Katharina Franck (KF) (Cinémathèque Leipzig) und Christoph Terhechte (CT) (DOK Leipzig)
TK: Bevor wir auf das gemeinsame Engagement für ein Filmkunsthaus zu sprechen kommen, würden wir gerne einen Blick zurückwerfen. Die Cinémathèque Leipzig und DOK Leipzig sind beide als Institutionen stark in ihrer Stadt verwurzelt, haben jedoch ganz unterschiedliche Ursprünge: Das Festival wirkte schon vor dem Mauerfall als wichtiger gesellschaftlicher wie politischer Impulsgeber. Die Cinémathèque entstand als politisch intendiertes Graswurzelprojekt nach dem Mauerfall. Was bedeutet dies für das jeweilige Selbstverständnis?
AS: Ich war zwar bei der Gründung der Cinémathèque selbst nicht dabei, doch ich weiß, dass die Initiative 1991 aus einem Verein, der AG Kommunales Kino e.V., hervorgegangen ist, der sich aus Menschen zusammensetzte, die sehr politisch und sehr cinephil waren und nach der Wende darauf brannten, endlich den ganzen „geilen Scheiß“ sehen und zeigen zu dürfen. Sie nutzen hierfür sehr unkonventionelle Settings: Angefangen haben sie im Stadtteil Connewitz, der zu dieser Zeit sehr stark von politischen Unruhen geprägt war, zwischen Links und Rechts. Und dort, inmitten der Punk-Bewegung und den Hausbesetzer-Projekten, in einem total unerschlossenen und rauen Raum, zeigten sie auf Analog-Material Filme. Sie nannten ihn Lichtwirtschaft. Aus dieser Initiative entstand ein Verein, in erster Linie um eine Struktur zu schaffen und die Aktivitäten weiter auszubauen. Das Grund-Verve bestand in dem gesellschaftlichen Interesse, Aktivismus und Haltung zu zeigen. Dies bildet bis heute den Grundstein des jetzigen Vereins. 2005 wurde der Verein umbenannt in Cinémathèque Leipzig e.V., um mehr Sichtbarkeit und mehr Aufmerksamkeit zu generieren, insbesondere um uns von unserer Spielstätte, die nicht unsere eigene war, deutlicher abzuheben. Der Name Cinémathèque hat nichts mit der ursprünglichen Konnotation einer Kinemathek zu tun, denn das sind wir nicht. Wir sind ein Raum. Wir bespielen diesen Raum mit filmkulturellen Inhalten, kontextualisiert, partnerschaftlich mit anderen Vereinen und Institutionen und wollen Inhalte aus dem Kontext heraus entwickeln. Aber es gibt kein nennenswertes Archiv. Der Name sollte auch eine gewisse Wertigkeit transportieren. Es sollte zeigen, dass wir leben, was wir tun, dass wir kein Kino im klassischen Sinne sind.
CT: Ich selbst war vor dem Mauerfall nicht in Leipzig. Aber mir ist bewusst, dass das Erbe ein ganz großer Teil der Zukunft des Festivals zu sein hat. Ich sage das so kategorisch, weil ohne sein Erbe kann man dieses Festival gar nicht machen. Es macht keinen Sinn, es seiner Geschichte zu entreißen und sich etwas Neues auszudenken. Es hat, denke ich, auch nur so überlebt und ist dabei durch ganz viele verschiedene Phasen gegangen: DOK Leipzig wurde relativ unabhängig gegründet, zu einem Zeitpunkt, als es noch kaum Filmfestivals auf der Welt gab. Also, nach der Berlinale, Cannes, Venedig, die eher so mondänen Festivals, oftmals an Badeorten stattfanden, wo man abends im Smoking und Abendkleid ins Kino ging. Sowas kann man sich ja heute gar nicht mehr unter Festivals vorstellen. Dann gab es aber plötzlich welche wie Biarritz, die eine Agenda, eine filmpolitische Agenda verfolgten. Das war Ende der 1940er-Jahre, wahnsinnig früh. Insofern ist ein Festival in der Stadt Leipzig spannend, das sich Mitte der 1950er-Jahre auf die Fahnen schrieb, nicht einfach Glamour zu zelebrieren, sondern sich für eine Sache einzusetzen.
AS: Und das Festival war alles andere als staatsnah. Es war the Place to be für die Menschen, die gesellschaftlich und politisch aktiv waren und auch kritisch auf das System DDR schauten und auch den Osten und den Kommunismus. Es war der Blick: ein wahnsinnig seltener Blick in die Welt. Man konnte Leute, Regisseur:innen, Filmemacher:innen treffen. Die Menschen haben sich Urlaub genommen für diese Zeit, um dabei sein zu können. Auch politische Aktionen fanden im Rahmen des Festivals statt, zum Beispiel wurden vor den Kinos Sitz-Demonstrationen mit Kerzen abgehalten, die auf die Missstände im Osten hinwiesen, wofür man auch inhaftiert werden konnte, das war also alles hochpolitisch. Und seit der Wende hat dann auch die Cinémathèque jahrelang partnerschaftlich mit dem Festival zusammengearbeitet.
CT: Es gab natürlich auch einen Hoheitskampf darüber, wer was zu sagen hatte. Dabei hat das Festival immer versucht, sich so weit wie irgendwie möglich den Interessen der Filmschaffenden zu widmen und sich der Kontrolle zu entziehen. Und das ist, glaube ich, immer wieder in großen Teilen gelungen. Aber es hat sich mehrfach redefinieren müssen, natürlich ganz stark mit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung. Dennoch hat es geschafft, sich über mehrere Instanzen hinweg neu zu definieren und trotzdem seine Identität zu bewahren. In diesem Bewusstsein bin ich hier angetreten. Ich kenne das Festival erst seit den 1990er-Jahren, als ich ein paar Mal auf dem Rückweg von Hof mit dem Zug durch Leipzig gefahren und ausgestiegen bin und mir ein paar Filme angesehen habe. Das erste Mal war ich richtig beim Festival 2001, als mich Fred Gehler in die Jury einlud. Das war noch im alten Capitol, das die Stadt schändlicherweise aufgegeben hat – und da sind wir schon beim Thema – und durch eine Hosenbude ersetzt hat. Das Gebäude steht bis heute verrammelt. Aber es war eben noch dieser Ort, über dem einst das legendäre Banner hing: Filme der Welt – Für den Frieden der Welt.
Macher:innen
Christoph Terhechte
ist Intendant und künstlerischer Leiter von DOK Leipzig. Von 2001 bis 2018 war er Direktor des Internationalen Forums des Jungen Films der Berlinale. 2018 und 2019 übernahm er die künstlerische Leitung des Internationalen Filmfestivals von Marrakesch. Terhechte wurde 1961 in Münster geboren und studierte in Hamburg Politikwissenschaft und Journalistik. Er war als Filmjournalist in Paris und Berlin tätig.
Bild Dateiname Christoph Terhechte (c) Susann Jehnichen.jpg Copyright Susann Jehnichen
Angela Seidel,
Dipl. Kultur-/Medienpädagogin, verfolgt in ihrer Arbeit den Schwerpunkt der Entwicklung inhaltlich und ökonomisch nachhaltiger Zukunftsperspektiven von Kulturinstitutionen in freier Trägerschaft. Sie verantwortet seit 2012 die Geschäftsführung der Cinémathèque Leipzig sowie die Entwicklung und Realisierung eines neuen visionären Standortes filmkultureller Arbeit in „Leipzig – ein Filmkunsthaus (AT), Zentrum für Filmkunst und Medienbildung“.
Bild Dateiname Angela Seidel (c) Christian Hüller.jpg Copyright Christian Hüller
Katharina Franck
absolvierte ein Magisterstudium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und Madrid. Sie war in verschiedenen Bereichen für mehr als ein Dutzend nationale und internationale Filmfestivals unterschiedlicher Größe und Ausrichtung tätig (darunter Berlinale, Festival de Cortometrajes Móstoles, Chicago International Film Festival) und arbeitete für Alamode und eksystent Distribution. Seit 2018 ist sie für das Programm der Cinémathèque Leipzig verantwortlich.