Biennale Bavaria International — Festival des neuen Heimatfilms

Ausgehend von der Fragestellung ‚Was bedeutet Heimat?‘ wurde im Jahr 2015 im Austausch des Kulturmanagers Peter Syr aus Haag in Oberbayern und des ehemaligen Mühldorfer Bürgermeisters und Landtagsabgeordneten Günther Knoblauch die Idee geboren, ein Heimatfilmfestival zu gründen. Schließlich schlossen sich sechs Orte zusammen, die sich in diesem Ursprungsgedanken wiederfanden und Teil des Festivals wurden. Ein Trägerverein wurde gegründet, der mit den Planungen und der Suche nach weiteren Kooperationspartnern und Finanzierungsmöglichkeiten für das Festival begann.

Im Jahr 2019 konnte der Filmwissenschaftler und Filmkritiker Joachim Kurz, Gründer, Herausgeber und Chefredakteur des Online-Filmkritikmagazins Kino-Zeit.de als Kurator für die Filmauswahl gewonnen werden. Zu diesem Zeitpunkt stand durch einen zuvor durchgeführten Workshop bereits fest, dass es bei der Programmauswahl für die BBI nicht primär um Premieren und Uraufführungen geht, sondern vielmehr darum, eine Auswahl bereits auf anderen Festivals erfolgreich gelaufener hochklassiger Filme zu treffen (‚Best of Fest‘).

Als Vorlauf zur eigentlichen, für den April 2021 angesetzten ersten Ausgabe des Festivals entwickelte sich zudem die Idee eines Prologs in Form einer dreitägigen Auftaktveranstaltung genau ein Jahr vor dem eigentlichen Beginn. Diese Veranstaltung, die sich Neuer Heimatfilm unterwegs nannte, sollte einen Vorgeschmack geben auf das Kommende, Einblicke geben in die Arbeitsweise des Festivals und Lust machen auf das Thema und die Filme. Aufgrund des ersten Corona-bedingten Lockdowns wurde das Event vom April 2020 in den September 2020 verschoben und fungierte als erfolgreiche Generalprobe für die ursprünglich auf den Zeitraum 21.–25. April 2021 terminierte Festivalpremiere der BBI. Doch dann folgte abermals ein Lockdown, der eine zweite Verschiebung notwendig machte.

Die 1. Biennale Bavaria International — Festival des neuen Heimatfilms fand schließlich zum ersten Mal vom 15. bis 19. September 2021 in der Inn-Salzach-Region mit Spielorten in Altötting, Burghausen, Haag i. OB, in Mühldorf a. Inn, in Trostberg und Wasserburg am Inn statt. Insgesamt wurden 42 Filme in vier Kategorien (Spielfilm, Dokumentarfilm, Kinder- und Jugendfilm sowie Newcomer / Independent) gezeigt. Trotz der deutlich spürbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Platzbeschränkungen in den Kinos erreichte das Festival insgesamt rund 5.000 Besucher:innen.

(Joachim Kurz)

Die kommende Ausgabe des Festivals findet
im April 2023 statt

biennale-bavaria.de >>

Exzerpt aus Buch / Leseprobe

Auszug aus dem Beitrag „Heimat! Film! Festival! – Über die Entstehung eines Festivals des neuen Heimatfilms“ von Joachim Kurz  (Biennale Bavaria International – Festival des neuen Heimatfilms)

III. Warum ein Festival des neuen Heimatfilms?

Natürlich ist es nicht allein die filmhistorische Perspektive auf ein Filmgenre mit wechselhafter Geschichte, sondern vor allem der gesellschaftliche wie politische Aspekt des mitunter schwierigen, da vorbelasteten Themenkomplexes ‚Heimat‘, der als Ausgangspunkt für ein Filmfestival diente.

Problematisch oder zumindest komplex erweist sich der Begriff Heimat dabei, weil die Diskussion darüber so weitverzweigt ist, dass er sich jeder eindeutigen Definition entzieht:. Bereits im Jahre 2005 konstatierte die Journalistin Ute Vorkoepper in DIE ZEIT: „Das Wort ‚Heimat‘ klingt altmodisch, irgendwie unpassend in einer vernetzten, grenzenlos gewordenen Welt. Wir nennen sie sogar globalisiert. Und ist in Deutschland das Reden über Heimat nicht sowieso anrüchig, weil unsere Geschichte die schrecklichsten Seiten der Heimatverbundenheit gezeigt hat?” Heute ist Multikulturalismus, die bunte Mischung der Kulturen, angesagt gegen die ewig Gestrigen, die die Grenzen dicht machen und alle „Fremden“ abschieben wollen. Doch mit der einfachen Gegenüberstellung von „Multikulti“ und „Deutschland den Deutschen“ ist man offenkundig in eine Sackgasse geraten. Statt auf ein fröhliches Fest der Kulturen trifft man im Alltag auf deutliche Trennungen zwischen deutschen und ausländischen Mitbürgern. Die Eingliederung kommt nicht voran und betroffen sind vor allem die Kinder und Jugendlichen. Darüber nachzudenken, was einem selbst Heimat bedeutet, welche Freiheiten und Probleme mit ihr verknüpft sind, macht aufmerksam für die Probleme der unfreiwillig Heimatlosen und all derjenigen, die zwischen verschiedenen Heimaten hin und her gerissen sind.“

Die Diskussion darum, was Heimat bedeutet – für jede/n Einzelne/n, aber auch gesamtgesellschaftlich, hat sich seitdem beständig weiterentwickelt und verändert. Verschärft hat sich die Diskussion um das Thema Heimat erneut seit dem Jahr 2015 und der sogenannten ‚Flüchtlingskrise’, die freilich gar keine war. Im Prinzip verbergen sich aus meiner Sicht hinter den vielen Diskussionen rund um das Thema Heimat und Identität vor allem Versuche, von konservativen bis rechtsextremen Kreisen, die Realitäten einer globalisierten und sich immer mehr durchmischenden und diverser werdenden Gesellschaft zu negieren. Letzten Endes geht es bei diesen Versuchen darum zu bestimmen, wer denn eigentlich zur Heimat dazugehört und wer nicht. Es geht um Aus- und Abgrenzungen, um Definitionsmacht und Deutungshoheit über das vermeintlich ‚Fremde‘ und es geht darum, wer dazugehört zur eigene Heimat und wer nicht, wer rein darf und wer draußen bleiben muss.

Diesem Bild, das Heimat als kleinere Einheit eines Nationalstaates denkt, den es gegen ein ‚Zuviel‘ an Einwanderung zu verteidigen gilt, will das Festival des neuen Heimatfilms etwas entgegensetzen. Weil wir glauben, dass Heimat schon seit langem nichts Feststehendes und klar Umrissenes mehr ist, sondern durchlässiger, flexibler und auch toleranter geworden ist, als es uns Rechtspopulisten glauben machen wollen.

Dass Heimat heute anders verstanden wird als früher, liegt an vielen verschiedenen Faktoren – vor allem aber an der veränderten Lebensrealität vieler Menschen: Wurden sie früher an einem Ort geboren, an dem auch schon ihrer Vorfahren gelebt hatten, und an dem auch im weiteren Verlauf ihres Lebens arbeiteten, Familien gründeten und starben, entspricht dies heute kaum mehr der Lebenswirklichkeit des Großteils der Menschen selbst in der westlich geprägten Welt. Mobilität und Flexibilität sind in der modernen, globalisierten Welt längst Grundanforderungen geworden, ohne die heute ein berufliches Fortkommen kaum mehr möglich ist. Ökonomische wie ökologische Krisen, Dürren und Hungersnöte, Kriege und Diskriminierungen tun ihr Übriges dazu, das Heimat heute etwas geworden ist, das immer wieder aufgegeben, verlassen, neu gesucht und gefunden werden muss; statt einer Heimat gibt es nun für zahlreiche Menschen viele: Alte Heimaten und neue, reale und an einen Ort gebundene, aber auch geistige Heimaten, die man sich immer aufs Neue findet, in Frage stellt und wieder verlässt und die man in einem viel stärkeren Maße als früher mitzugestalten versucht. Und all diese Aspekte bilden den Kern der BBI und spielen bis heute eine zentrale Rolle sowohl bei der Filmauswahl wie auch bei der Konzeption der Rahmenveranstaltungen.

Macher:innen

(c) Damian Domes

Joachim Kurz

studierte Filmwissenschaft, Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Er gründete 2003 das Online-Portal Kino-Zeit, das er bis heute als Herausgeber und Chefredakteur leitet. Er ist Festivalkurator und -macher, Autor mehrerer Bücher und Juror bei verschiedenen Festivals sowie Juryvorsitzender bei der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW).